Sprechen wir von gewaltfreier Erziehung, denken wir sofort an die Ohrfeige oder den Klaps auf den Po, der angeblich noch niemandem geschadet hat. Gemäß einer repräsentativen Umfrage des Kompetenzzentrums Kinderschutz an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulms, die im Jahr 2020 gemeinsam mit UNICEF Deutschland und dem Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) durchgeführt wurde, stimmen noch immer über 40 % der befragten Personen leichterer Körperstrafen zu.
Doch Gewalt findet nicht nur auf körperlicher Ebene statt. Sie beginnt bereits in der Art, wie wir mit unseren Kindern sprechen und wie wir auf ihre Gefühle reagieren. Wirkliche Veränderung kann erst geschehen, wenn uns bewusst wird, dass wir unseren Kindern täglich Gewalt antun, wenn wir die gesellschaftlich anerkannten Methoden, wie bspw. Bestrafung und Belohnung, akzeptieren und anwenden.
Gerne möchte ich ein paar Fragen beantworten, die mich häufig erreichen und dir Möglichkeiten aufzeigen, wie eine gewaltfreie Erziehung wirklich funktionieren kann.
Ein Klaps auf den Po, hat angeblich noch niemandem geschadet. Siehst du das anders?
Ja, absolut! Ein Klaps auf den Po führt niemals zu Verständnis des scheinbaren Fehlverhaltens. Das Kind kann diese komplexen Zusammenhänge noch nicht erfassen. Der Klaps auf den Po führt ausschließlich zu Vertrauensverlust und Ohnmachtsgefühlen.
Doch warum werden diese Methoden noch immer eingesetzt?
Weil sie viele Eltern als wirkungsvoll erleben und sich häufig nicht anders zu helfen wissen. Meist haben die betroffenen Eltern selbst in ihrer Kindheit körperliche oder psychische Gewalt erfahren, so dass sie diese Methoden als normal bewerten und übernehmen, ohne sie jemals in Frage zu stellen. Doch ein Kind, das Gewalt erlebt hat, wird niemals „funktionieren“ weil es eine Einsicht entwickelt hat. Vielmehr ist es eingeschüchtert und wird sich von nun an aus Angst vor Verlust der Bindung anpassen und somit nur scheinbar funktionieren.
Was ist falsch daran, mein Kind zu guten Leistungen zu animieren, indem ich es belohne?
Wenn ein Kind eine Herausforderung selbstwirksam meistert, dann wird es Freude und Stolz empfinden. Diese Gefühle sind ein natürlicher Antrieb, der keinerlei Belohnung bedarf. Belohnung, so wie unsere Gesellschaft sie heute einsetzt, nährt lediglich die Überzeugung, dass wir erst Leistung erbringen müssen, um angenommen zu werden. Diese Überzeugung macht uns nicht selten zu Erwachsenen, die 14 Stunden am Tag arbeiten, sehnlichst auf Anerkennung hoffen und schließlich der Erschöpfung erliegen. Stattdessen dürfen wir unsere Kinder belohnen, indem wir uns aufrichtig mit ihnen freuen und sie für ihre Bemühungen anerkennen.
Du sprichst auch von Gewalt im Umgang mit kindlichen Gefühlen. Wie ist das zu verstehen?
Wenn wir die Gefühle unserer Kinder bewerten, verurteilen und negieren, oder sie sogar für ihre Gefühle bestrafen, wenden wir Gewalt an. Wenn wir sie aus dem Zimmer verweisen, sobald sie wütend sind oder sie fordernd ermahnen, sobald sie Angst zeigen, dann handeln wir gewaltvoll. Wir sorgen so aktiv dafür, dass unsere Kinder glauben, dass sie so, wie sie sind, nicht richtig sind. Diese tief verinnerlichte Überzeugung führt spätestens im Erwachsenenalter zu zahlreichen Herausforderungen, Problemen oder Symptomen. Häufig dann auch zu einem Besuch bei einem Psychologen oder einer Psychotherapeutin.
Wie können wir unsere Kinder davor schützen?
Natürlich kann es zahlreiche Gründe für das Aufsuchen eines Psychotherapeuten geben, doch wenn wir unseren Kindern heute die Erfahrung ermöglichen, dass all ihre Gefühle richtig und wichtig sind, dann schaffen wir eine Basis für ein stabiles Selbstwertgefühl. Ein Kind, das sich mit all dem zeigen kann, was in ihm lebendig ist, fühlt Sicherheit und Verbundenheit. Und nur wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, kann sich das Nervensystem eines Kindes in Richtung Stabilität entwickeln.
Wie kann uns das konkret im Alltag gelingen?
Das ist eigentlich ganz einfach. Wir brauchen im ersten Schritt lediglich das Gefühl, mit dem sich uns unser Kind zeigt, wahrnehmen und benennen und dabei auf möglichst jede Bewertung oder Interpretation verzichten. Das könnte bspw. so lauten: „Oh, ich sehe du bist gerade richtig wütend“ oder „Ich sehe, da ist gerade richtig viel Angst in dir.“ Fühlt sich das Kind gesehen und angenommen, entspannt sich die Situation meist schon deutlich.
Wenn es uns gelingt, eine Neugier und ein aufrichtiges Interesse für die Gefühlswelt unserer Kinder zu entwickeln, dann wird es uns möglich, die wahre Ursache hinter einem Problem zu finden. Dann müssen wir nicht mehr kämpfen, um bspw. die Schulangst in Schach zu halten, dann dürfen wir Lösungen finden, die in der Tiefe und somit nachhaltig wirken. Das Flümer®-Konzept, mit dem ich arbeite, gibt den Gefühlen ein Gesicht und ermöglicht es so Kindern und auch Erwachsenen, mit ihren Gefühlen spielend leicht umzugehen. Da ist dann beispielsweise Albert, die Angst, die dem Kind mitteilt, dass er sich Sicherheit wünscht oder Lisbeth, die Liebe, die kommuniziert, dass sie nur so klein ist, weil sie einsam ist. Plötzlich sind wir kraftvoll und stehen unseren Herausforderungen nicht mehr hilflos und ohnmächtig gegenüber.